Sonderheft «European Integration» In diesem Sonderheft wurden folgende Artikel publiziert. Part I: Integration Theory between Nation and Federation Legitimacy: The Missing Link for Explaining EU-Institution Building Heinz Hauser und Alexia Müller In diesem Aufsatz sollen die Legitimationsprobleme der EU aufgezeigt werden, damit die Konferenz von 1996 sinnvoll vorbereitet werden kann. Die EU als Organisation 'sui generis' enthält sowohl intergouvernementale als auch supranationale Aspekte, daraus resultiert zum einem, dass die klassischen Integrationstheorien nicht auf die EU übertragen werden können. Zum anderen stellt sich hierdurch auch die Problematik der Zuständigkeitsaufteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten. Die EU verfügt über sehr viel Macht, die anhand der klassischen Legitimationskriterien nicht gerechtfertigt werden kann. Hauptlegitimationskriterium ist die Volkspartizipation, gerade diese ist im Bereich der EU kaum verwirklicht. Deutlich wird diese Problematik auch durch das Masstricht Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtes. Als mögliche Lösungsansätze können die 'Géométrie variable', das Subsidiariätsprinzip oder auf institutionneller Ebene, der 'markets preserving federalism' aufgezeigt werden. Federal Balance and the Problem of Democratic Legitimacy in the European Union Rudolf Hrbek Der Beitrag erläutert im Licht integrationstheoretischer Ansätze, die sich um eine genauere Bestimmung von Charakteristika und Strukturmerkmalen der EU und des Integrationsprozesses bemühen, die EU als politisches System im Werden. Für das EU-System als Mehrebenensystem stellt sich einmal das Problem, eine föderative Balance herzustellen; es wird diskutiert, was das Subsidiaritätsprinzip dazu leisten kann und welche Rolle die Aktivitäten der Regionen dabei spielen. Schliesslich wird ein Aspekt des Legitimitätsproblems der EU behandelt, der sich auf institutionelle Reformen des EU-Systems bezieht. Part II: Social Regulation and Market Integration The Development of Social Regulation in the European Community: Policy Externalities, Transaction Costs, Motivational Factors Giandomenico Majone Dieser Artikel zeigt, dass eine Anwendung des Transaktionskosten-Ansatzes auf Fragen der politschen Entscheidungen bezüglich der EU, erklären kann, warum die Mitgliedstaaten wichtige Souveränitätsrechte an supranationale Institutionen übertragen und zwar selbst dann, wenn eine solche Delegation nicht durch die funktionalen Bedürfnisse des Gemeinsamen Marktes bedingt ist. Gemäss dem Coase Theorem könnten, bei Abwesenheit jeglicher Transaktionskosten, negative externe Effekte wie grenzüberschreitende Umweltverschmutzungen durch dezentrale intergouvernementale Verträge internalisiert werden. Allerdings fehlt solchen Verträgen die Glaubwürdigkeit, wenn die Vertragspartner einander misstrauen und sich opportunistisch verhalten. Zentralisierung wäre somit eine Antwort auf nicht vollständig spezifizierte Verträge. Dieser Artikel kommt zum Ergebnis, dass dies weder die einzige noch die beste Antwort ist. Ausserdem wird unter Beachtung der Dynamik der Post-Delegations-Phase gezeigt, wie die Europäische Kommission unter bestimmten Bedingungen in der Lage ist, die Rolle eines politischen Unternehmers zu spiele Social Regulation and Market Integration: A Critique and Public-Choice Analysis of the Social Chapter Roland Vaubel Sozialpolitische Regulierungen beschränken die Vertragsfreiheit und ignorieren die individuellen Unterschiede in den Nachfrage- und Angebotswünschen. Besonders gravierend ist dies in einer internationalen Organisation wie der Europäischen Union, die sehr große Einkommensunterschiede aufweist. Es wird gezeigt, daß die sozialen Regelungen und Präferenzen in den Mitgliedstaaten signifikant vom Einkommen abhängen. Unterschiede zwischen den nationalen sozialpolitischen Regulierungen brauchen den Wettbewerb nicht zu verzerren. Auch wer als Folge des Binnenmarkt-Programms einen Deregulierungswettbewerb befürchtet, hat keinen stichhaltigen Grund, eine Angleichung der sozialpolitischen Regulierungen zu fordern. Kommission, Parlament und Gerichtshof der Europäischen Union sind an europäischen sozialpolitischen Regulierungen interessiert. Dies gilt auch für die Regierungen und die Produzenten in den hochregulierten Mitgliedstaaten. Für verschiedene sozialpolitische Regulierungen wird untersucht, welches Land im Ministerrat den Ausschlag gibt. Da die weniger regulierten Mitgliedstaaten nun überstimmt werden können, steigt das Regulierungsniveau auch in dem ausschlaggebenden Mitgliedstaat. Die weniger regulierten Mitgliedstaaten haben dem sozialpolitischen Abkommen zugestimmt, weil ihnen zusätzliche Transfers, geldpolitische Mitbestimmungsrechte usw. in Aussicht gestellt wurden und weil das Binnenmarkt-Pogramm in diesen Ländern die Nachfrage nach Arbeitskräften und damit das von den Gewerkschaften und dem Medianwähler angestrebte rentenmaximierende Niveau der realen Arbeitskosten erhöht hat. Part III: Institutional Implications of European Security The Integration of European Security: A Functionalist Analysis Jürg Martin Gabriel In der Einleitung finden sich die grundlegenden Fragestellungen dieses Artikels: Ist der Prozess der europäischen Integration irreversibel? Wenn ja, wird er sich auch auf das Gebiet der Sicherheitspolitik ausdehnen? Die Ausführungen gliedern sich in zwei Teile: Teil 1 entwickelt die theoretischen Grundlagen unter Rückgriff auf funktionalistische und neofunktionalistische Integrationstheorien und unterscheidet zwischen verschiedenen Funktionen der Sicherheitspolitik. Teil 2 wendet die theoretischen Prämissen auf verschiedene Bereiche der aufkommenden sicherheitspolitischen Zusammenarbeit an. Der Grundgedanke ist, dass Integration im Feld der Sicherheitspolitik von zwei komplementären Mechanismen vorangetrieben wird: einerseits durch das Übergreifen von «objektiven» Sachzwängen auf den politischen Prozess, andererseits durch politische Anstösse und Abstimmungen auf intergouvernementaler Ebene. Sicherheitspolitische Integration wird daher im wesentlichen analog zur wirtschaftlichen und politischen erklärt. In der Schlussfolgerung wird hervorgehoben, dass diese Analogie insbesondere bei den Sicherheitsfunktionen mit technisch-wirtschaftlichem Bezug greift. WEU and Future European Security Arrangements Comments of Richard Tibbels [Abstract wird nachgereicht] Part IV: Constitutionalizing the European Union How can the European Union be Constitutionalized ? The European Parliament's 1994 Proposal for a ´Constitution for the European Union` Ernst-Ulrich Petersmann Der Beitrag beginnt mit einer einleitenden Darstellung der «Verfassungserfolge», aber auch der «Verfassungsprobleme» des EG-Rechts und der Notwendigkeit einer neuen «Verfassung für die Europäische Union». Anschliessend werden Grundprinzipien für eine «Verfassungstheorie» der EG skizziert und deren politische Durchsetzbarkeit im Lichte der politischen Theorien der internationalen Beziehungen erörtert. Der vom Europäischen Parlament 1994 vorgelegte Entwurf einer neuen «Europäischen Verfassung» wird dargestellt und kritisiert. Der Beitrag endet mit Vorschlägen für eine parlamentarische Gesetzgebung der Europäischen Union, für striktere horizontale und vertikale Gewaltenteilung und gerichtliche Kontrolle, sowie für eine stärkere Konstitutionalisierung und Bindung der «auswärtigen Gewalt» der EG an das Völkerrecht. Basic Aspects of a European Constitution Martin Seidel Analysiert werden grundlegende Fragen einer Verfassung der Europäischen Union. Die Analyse orientiert sich an dem Verfassungsentwurf des Europäischen Parlaments vom Februar 1994. Die Europäische Gemeinschaft hat eine Verfassung; sie übt ihre Regelungsbefugnisse nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und in einem System der Gewaltenteilung aus. Hinter der Forderung nach ihrer Verfassung steht daher die Vorstellung, eine neue Unionshoheit zu schaffen und die Europäische Union in einen Bundesstaat umzuwandeln. Der Verfassungsentwurf des Europäischen Parlaments wird diesem Reformbedarf nicht gerecht. Sein Ziel besteht nur in einer Verbesserung der jetzigen Verfassung der Europäischen Union durch größere Effizienz, Transparenz und eine bessere demokratische Legitimierung des derzeitigen Entscheidungsverfahrens. The Shaping of a European Constitution and the 1996 IGC: 'Flexibility' as a Key Paradigm? Deirdre Curtin Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Schlüsselkonzept der "Flexibilisierung" im Rahmen der Diskussion um einen verfassungsrechtlichen Rahmen für die Europäische Union. Die Bedeutung einer Flexibilisierung tauchte als zentrales Thema in vielen der frühen Artikel zur 1996 IGC auf. Die Empfehlung ist, dass die EU, insbesondere vor dem Hintergrund einer allfälligen Osterweiterung der EU, eine Formel ausarbeiten sollte, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, Verpflichtungen in unterschiedlichem Ausmass zu übernehmen. Nur so kann den unterschiedlichen Interessen und Ambitionen der Länder entsprochen werden. Der vorliegende Beitrag untersucht gegenwärtige Möglichkeiten für eine Differenzierung innerhalb der EU und schlägt mögliche Kriterien vor, die sicherstellen, dass der Zusammenhalt und die institutionelle Einheit der EU nicht mehr als unbedingt nötig gelöst wird.